Das neue Kündigungsschutzrecht

Mit den nachfolgenden Ausführungen soll dem Arbeitgeber eine kurz gefasste Arbeitshilfe zur Hand gegebene werden, die es ermöglicht bei einer anstehenden Kündigung die Rechtslage zu erfassen.

I. Schwellenwert

Arbeitnehmer eines Kleinbetriebs genießen nicht den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem KSchG. Eine Kündigung des Arbeitgebers ist nur auf einen Verstoß gegen Treu und Glauben bzw. Sittenwidrigkeit zu überprüfen. Ab welcher Betriebsgröße ein Kleinbetrieb i. S. d. KSchG vorliegt, bestimmt § 23 Abs.1 KSchG mit einem Schwellenwert für die regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer.

 

1. Quorum

Bislang galten die Vorschriften des ersten Abschnitts des KSchG in Betrieben und Verwaltungen mit regelmäßig bis zu fünf Arbeitnehmern nicht (§ 23 Abs.1 S.2 KSchG). Für Arbeitnehmer, die zum 1.1.2004 oder später eingestellt wurden, wird dieser Schwellenwert auf in der Regel zehn Arbeitnehmer (Abs.1 S.3) erhöht. Wie bisher zählen Auszubildende bei der Ermittlung des Quorums nicht (Abs.1 S.2 u. 3), teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nur je nach ihrer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit anteilig mit 0,5 bzw. 0,75 (Abs.1 S.4).

 

2. „Kleinbetrieb"

Trotz der Rechtsprechung des BVerfG zur verfassungsmäßigen Auslegung des § 23 KSchG bezieht sich § 23 KSchG n. F. weiterhin auf die Arbeitnehmerzahl des Betriebes, nicht aber des Unternehmens. Dennoch werden die Vorgaben des BVerfG weiter zu beachten sein: Wenn im Unternehmen insgesamt mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden, genießen auch die Arbeitnehmer in den Einzelbetrieben mit bis zu zehn Arbeitnehmern einen gewissen Kündigungsschutz.

 

3. Besitzstandsregelung

Der neue Schwellenwert „zehn" gilt nur für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse frühestens am 1.1.2004 begonnen haben (Abs.1 S.3). Diese genießen, solange keinen Kündigungsschutz, wie der neue Schwellenwert von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht überschritten wird. Arbeitnehmer, die bis zum 31.12.2003 in einem Betrieb mit mehr als fünf, aber nicht mehr als zehn Arbeitnehmern eingestellt wurden, genießen auch nach dem 1.1.2004 Kündigungsschutz nach dem bisherigen Recht (Abs.1 S.2).

 

Beispiele:

Am 31.12.2003 werden im A-Betrieb der B-GmbH fünf Vollzeit-Arbeitnehmer („Altarbeitnehmer") beschäftigt. Zum 1.1.2004 stellt die B dort fünf weitere Vollzeit-Arbeitnehmer („Neuarbeitnehmer") ein. Keiner dieser Arbeitnehmer genießt den Kündigungsschutz nach den §§ 1-14 KSchG, weil der A-Betrieb sowohl nach altem als auch nach neuem Recht ein Kleinbetrieb ist.

Am 31.12.2003 werden bei A sechs Vollzeit-Arbeitnehmer („Altarbeitnehmer") beschäftigt. Zum 1.1.2004 werden vier weitere Vollzeit-Arbeitnehmer („Neuarbeitnehmer") eingestellt. Die sechs Altarbeitnehmer genießen weiter den Kündigungsschutz nach den§§ 1-14 KSchG; die Neuarbeitnehmer kommen noch nicht in den Genuss, da das Quorum „zehn" noch nicht überschritten ist.

Am 31.12.2003 werden bei A sechs Vollzeit-Arbeitnehmer („Altarbeitnehmer") beschäftigt. Zum 1.1.2004 werden fünf weitere Vollzeit-Arbeitnehmer („Neuarbeitnehmer") eingestellt. Alle elf Arbeitnehmer genießen den Kündigungsschutz nach den § 3 1-14 KSchG, da das Quorum von „zehn" überschritten ist.

Der fortbestehende Kündigungsschutz der Altarbeitnehmer endet indes, sobald ihre Zahl auf fünf oder weniger sinkt (Abs.1 S.2). Insoweit verbessert sich ihre Rechtsposition im Verhältnis zum bisherigen Recht nicht.

 

Beispiele:

Am 31.12.2003 werden im Betrieb A acht Vollzeit-Arbeitnehmer („Altarbeitnehmer") beschäftigt. Zum 1.1.2004 stellt die B für den Betrieb A zwei weitere Vollzeit-Arbeitnehmer („Neuarbeitnehmer") ein. Nur die Altarbeitnehmer genießen den Kündigungsschutz nach den §§ 1-14 KSchG.

Zum 31.07.2004 scheiden drei Altarbeitnehmer und ein Neuarbeitnehmer aus.

Ab 01.08.2004 genießt keiner der verbleibenden Arbeitnehmer (fünf Alt-; ein Neuarbeitnehmer) Kündigungsschutz nach den §§ 1-14 KSchG, weil keine Altarbeitnehmer über dem alten Schwellenwert „fünf" beschäftigt werden und die Gesamtarbeitnehmerzahl unter dem neuen Quorum „zehn" liegt.

Zum 01.09.2004 werden drei neue Vollzeit-Arbeitnehmer eingestellt. 

Keiner genießt Kündigungsschutz nach den §§ 1-14 KSchG, weil nur fünf Altarbeitnehmer und insgesamt nur neun Arbeitnehmer beschäftigt werden.

Zum 01.12.2004 werden zwei weitere neue Vollzeit-Arbeitnehmer eingestellt.

Die Gesamtarbeitnehmerzahl überschreitet damit den neuen Schwellenwert von „zehn". Alle genießen den Kündigungsschutz nach den §§ 1-14 KSchG.

Arbeitgeber werden also ihre Arbeitnehmer in zwei Kategorien führen müssen, bis die Zahl der Altarbeitnehmer unter den alten Schwellenwert „fünf" sinkt: Für Neuarbeitnehmer gilt nur der neue Schwellenwert "zehn": Für Altarbeitnehmer gilt, solange das alte und das neue Quorum, zu beachten. Arbeitnehmer, die am 31.12.2003 in einem Betrieb mit mehr als fünf, aber nicht mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt waren, aber die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht erfüllt haben, genießen mit Ablauf der Wartezeit den oben beschriebenen Kündigungsschutz für Altarbeitnehmer.

 

II. Betriebsbedingte Kündigung

1. Sozialauswahl

a. Kriterien

Die Änderung ist im Prinzip aus den Jahren 1996 bis 1998 bekannt: Nunmehr wird die Sozialauswahl auf vier - statt früher drei - Kriterien begrenzt, nämlich die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 3 S.1 KSchG n.F.). Ob unter Schwerbehinderung nur die Behinderung i. S. d. § 2 Abs. 2 SGB IX oder auch die Gleichstellung i. S. d. § 2 Abs.3 SGB IX gemeint sind, ist offen. Jedem der drei Kriterien kommt - so die Gesetzesbegründung - das gleiche Gewicht zu. Der Arbeitgeber muss die drei Grunddaten „ausreichend" berücksichtigen, d. h., ihm steht bei der Gewichtung zwischen den drei Auswahlkriterien ein Beurteilungsspielraum zu. 

Die Beschränkung auf die drei Grunddaten schließe die Beachtung unbilliger Härten im Einzelfall nicht aus. „Zusätzlich erfassbare Tatsachen" müssten jedoch in einem „unmittelbaren spezifischen Zusammenhang" mit den Grunddaten stehen oder sich aus solchen „betrieblichen Gegebenheiten" herleiten, die „evident einsichtig" sind. Das betreffe beispielsweise Berufskrankheiten und einen vom Arbeitnehmer nicht verschuldeten Arbeitsunfall. Ob die Sozialauswahl im Prozess „hält", wird der Arbeitgeber unter solchen Umständen nicht viel besser prognostizieren können als vorher. Einfach ist indes die Prognose, dass einige Arbeitsgerichte die Gesetzesbegründung nutzen werden, um eine nach dem Wortlaut des Gesetzes ausreichende Sozialauswahl für fehlerhaft zu erklären.

 

b. Herausnahme aus der Sozialauswahl

Nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG n. F. sind Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, in die Sozialauswahl nicht einzubeziehen. Somit ist nunmehr lediglich Voraussetzung, dass die Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer „im berechtigten betrieblichen Interesse liegt". Die Ausklammerung aus der Sozialauswahl ist nicht auf die im Gesetz genannten Gründe beschränkt; diese sind nur Beispiele.

> Leistungsträger:

Wiederum ist die Begründung strenger als der Gesetzestext: Der Leistungsträger muss sich für den Betrieb „unentbehrlich" gemacht haben, damit der Arbeitgeber ihn aus der Sozialauswahl herausnehmen darf." Steine statt Brot erhält der Arbeitgeber zudem, wenn die „Leistungsträger" - Rechtsprechung des BAG zu § 1 Abs.3 S.2 KSchG weiterhin zur Anwendung kommt: Danach muss der Arbeitgeber das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse an der Herausnahme des Leistungsträgers abwägen. Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein. Bleibt es bei dieser Rechtsprechung, wird das Regelungsziel, die Sozialauswahl zu erleichtern, nicht erreicht.

> Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur:

Anders als der Insolvenzverwalter (§ 125 Abs. 1 S.1 Nr. 2 InsO) kann der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 3 S.2 KSchG n. F. nur zur Sicherung, nicht aber zur Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herausnehmen. Bei der Abgrenzung, welche vom Arbeitgeber geltend gemachten betrieblichen Interessen, als berechtigt anzuerkennen sind, ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz durch die Benennung von Beispielen die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur grundsätzlich als vorteilhaft für den Betrieb ansieht. Das berechtigte betriebliche Interesse an der Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur berechtigt den Arbeitgeber, vorab Altersgruppen zu bilden und lediglich innerhalb dieser Altersgruppen die Sozialauswahl vorzunehmen.

 

c. Darlegungs- und Beweislast

An der abgestuften Darlegungs- und Beweislast der Parteien zur Sozialauswahl hat sich nichts geändert.

 

2. Auswahlrichtlinie

Da im Rahmen der sozialen Auswahl nur noch die oben genannten vier Sozialkriterien zu berücksichtigen sind (§ 1 Abs. 3 S.1 KSchG n.F.), ist auch § 1 Abs. 4 KSchG zum 1.1.2004 geändert worden: Ist in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder einer entsprechenden personalvertretungsrechtlichen Richtlinie festgelegt, wie die Sozialkriterien nach § 1 Abs. 3 S.1 KSchG n. F. zu bewerten sind, kann diese Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Es ist nur möglich festzulegen, wie die in § 1 Abs. 3 S.1 KSchG n. F. genannten Sozialdaten im Verhältnis zueinander zu gewichten sind. Es ist nicht möglich, weniger, mehr oder andere Kriterien in einer Auswahlrichtlinie mit den Privilegien des § 1 Abs. 4 KSchG n. F. fest zuschreiben.

Die Bewertung selbst ist im Kündigungsschutzprozess nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen (Abs.4 S.2). Grob fehlerhaft ist die Bewertung, wenn eines der Kriterien gar nicht oder völlig unausgewogen, also eindeutig unzureichend oder eindeutig überproportional, berücksichtigt wird. In vollem Umfang bleibt aber überprüfbar, welche Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl aufgrund ihrer Vergleichbarkeit zu berücksichtigen sind und welche Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 S.2 KSchG aus der Sozialauswahl herausgenommen wurden. Eine Auswahlrichtlinie aus der Zeit des KSchG , die sich auf die Bewertung der vier Sozialdaten des § 1 Abs. 3 S.1 KSchG n. F. beschränkt, kann im Rahmen des § 1 Abs. 4 KSchG n. F. nur eingeschränkt überprüft werden. Alte Auswahlrichtlinien, die auch andere oder weniger Sozialdaten berücksichtigen (§ 1 Abs.4 KSchG), erfüllen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 KSchG n.F. nicht mehr.

§ 1 Abs.3 KSchG n.F. erlaubt dem Arbeitgeber auch dann die Verwendung eines Punkteschemas, wenn keine förmliche Vereinbarung gem. § 1 Abs. 4 KSchG n.F. vorliegt. Der Arbeitgeber ist allerdings gehalten, die Punktetabelle nur zur Vorauswahl zu verwenden. In jedem Fall muss im Anschluss an die Vorauswahl eine individuelle Abschlussprüfung der Auswahl stattfinden. § 1 Abs.4 S.2 KSchG ist nicht übernommen worden. Danach konnte der Arbeitgeber eine Auswahlrichtlinie in betriebsratslosen Betrieben mit der Zustimmung von mindestens 2/3 der Arbeitnehmer des Betriebs schriftlich erlassen.

 

3. Interessenausgleich mit Namensliste

Auch die sog. Namensliste erlebt in § 1 Abs. 5 KSchG n.F. ein „Revival". Sie ist aus der Zeit von 1996 bis 1998 bekannt und hat im Rahmen des § 125 Abs.1 InsO überlebt. Nur die Altregelung war aber zusätzlich betriebsverfassungsrechtlich „unterfüttert" (§§ 113 Abs. 3 S.2 und 3 BetrVG ) und beschleunigte so das Interessenausgleichsverfahren erheblich.

 

a. Allgemeines

Erfolgt eine betriebsbedingte Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) und sind die zu kündigenden Arbeitnehmer im Interessenausgleich namentlich bezeichnet, gilt zugunsten des Arbeitgebers Folgendes: Es wird vermutet, dass die Kündigung betriebsbedingt ist (§ 1 Abs. S S.1 KSchG n.F.) die Sozialauswahl kann nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. S S.2 KSchG n.F). Betriebsbedingte Änderungskündigungen werden von § 1 Abs. 3 KSchG n.F. nicht erfasst. Im Rahmen des Änderungsschutzprozesses wird geprüft, ob die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt ist. Die Vermutung des § 1 Abs. 5 KSchG n.F. bezieht sich aber darauf, dass „die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist".

 

b. Interessenausgleich mit Namensliste

Der Arbeitgeber kann eine Namensliste nicht erzwingen. Wenn er sich mit dem Betriebsrat im Rahmen der Verhandlungen über einen Interessenausgleich nicht einigt, kann er die Vergünstigungen des § 1 Abs. 5 KSchG n.F. nicht in Anspruch nehmen. Einigen sich die Betriebspartner, sind gewisse formelle Anforderungen zu beachten:

> Die Namensliste muss Bestandteil des Interessenausgleichs, also in ihm enthalten sein. Sie kann aber auch in einer Anlage zum Interessenausgleich aufgenommen werden. Dann muss aber zweifelsfrei feststehen, dass beide eine Urkunde bilden, z.B., wenn sie mittels Heftklammer fest miteinander verbunden sind. Sind beide indes nicht derart fest miteinander verbunden, tragen aber eine abschließende Namensunterschrift, kann sich die Einheit aus der fortlaufenden Nummerierung, der fortlaufenden Nummerierung der einzelnen Bestimmungen, der einheitlichen grafischen Gestaltung, dem inhaltlichen Zusammenhang des Textes oder vergleichbaren Merkmalen ergeben. Wird die Namensliste getrennt vom Interessenausgleich erstellt, reicht es aus, wenn sie von den Betriebsparteien unterzeichnet ist und im Interessenausgleich auf sie Bezug genommen ist.

> In der Namensliste müssen die einzelnen Arbeitnehmer mit Vor- und Nachnamen bezeichnet sein.

> Ein Interessenausgleich mit Namensliste ist an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen."

 

c. Vermutung der Betriebsbedingtheit

Die Vermutung, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, bezieht sich sowohl auf den Wegfall der bisherigen Beschäftigung als auch auf das Fehlen anderer Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb oder Unternehmen. Es wird indes nicht vermutet, dass kein Betriebsübergang nach § 613a BGB stattgefunden hat (§ 128 Abs. 2 InsO).

 

d. Eingeschränkte Überprüfung der Sozialauswahl

Die Überprüfung der Sozialauswahl auf grobe Fehlerhaftigkeit betrifft - so die Entwurfsbegründung - die Richtigkeit der Sozialauswahl in jeder Hinsicht, also auch die Frage der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer und der Herausnahme bestimmter Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG n.F.. Grob fehlerhaft ist eine soziale Auswahl, die bei der Gewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Der vom Gesetzgeber weit gefasste Beurteilungsspielraum der Betriebspartner lässt es auch zu, bei der Gewichtung der Sozialkriterien das Schwergewicht auf die Unterhaltspflichten der betroffenen Arbeitnehmer zu legen. Der Dauer der Betriebszugehörigkeit kam bereits nach der Rechtsprechung des BAG zu § 1 Abs.3 S.2 KSchG unter den Sozialkriterien keine Priorität zu. Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl nach der umstrittenen „Leistungsträger" - Rechtsprechung auch dann, wenn bei der Herausnahme eines Leistungsträgers die Gewichtung der sozialen Belange einerseits und der betrieblichen Interessen andererseits jede Ausgewogenheit vermissen lässt.

 

e. Wesentliche Änderung der Sachlage

Die Vermutung und der eingeschränkte Prüfungsmaßstab gelten nicht mehr, wenn sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat (Abs.5 S.3). Das ist der Fall, wenn die Geschäftsgrundlage weggefallen ist, weil z. B. die Betriebsänderung nicht mehr durchgeführt oder die Zahl der im Interessenausgleich vorgesehenen Kündigungen erheblich verringert werden soll. Beurteilungszeitpunkt ist der des Zugangs der Kündigung. Ändert sich die Sachlage erst danach, kommt nur ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht

 

f. Darlegungs- und Beweislast

Die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers beschränkt sich zunächst darauf, zur Betriebsänderung, der darauf beruhenden Kündigung und zum (materiell und formell) wirksamen Zustandekommen der Namensliste vorzutragen. Dem Arbeitnehmer obliegt es hingegen, darzulegen und zu beweisen, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung vorliegen also insbesondere sein Arbeitsplatz nicht weggefallen ist oder eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht.

Die abgestufte Darlegungs- und Beweislast bei der Sozialauswahl gilt unverändert, da § 1 Abs. 5 KSchG n.F. an diesen Grundsätzen nichts ändert. Der Arbeitnehmer kann mithin verlangen, dass der Arbeitgeber die Gründe angibt, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Kommt der Arbeitgeber diesem Verlangen nicht nach, ist die streitige Kündigung ohne weiteres als sozialwidrig anzusehen; auf den Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl kommt es dann nicht an. Auch im Anwendungsbereich des § 1 Abs.5 KSchG n.F. obliegt dem Arbeitgeber weiterhin die Darlegungs- und Beweislast dafür, warum bestimmte Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 S.1 nicht in die Sozialauswahl einbezogen worden sind, ihre Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Sodann hat der Arbeitnehmer darzutun, warum diese Sozialauswahl grob fehlerhaft ist.

 

g. Massenentlassung / Betriebsratsanhörung

Ein Interessenausgleich mit Namensliste ersetzt nach Abs.5 S.4 die Stellungnahme des Betriebsrats zur Massenentlassungsanzeige (§ 17 Abs.3 S.2 KSchG), nicht jedoch dessen Anhörung nach § 102 BetrVG. Die Anhörung kann der Arbeitgeber aber mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verbinden. Soweit der Betriebsrat den Kündigungssachverhalt schon aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich kennt, braucht der Arbeitgeber ihn bei der Anhörung nach § 102 BetrVG nicht erneut mitzuteilen. Zur Darlegung einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung reicht es zunächst aus, wenn der Arbeitgeber weitgehend auf den dem Betriebsrat aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich und die Namensliste bekannten Sachverhalt Bezug nimmt. Erst wenn der Arbeitnehmer diesen Sachvortrag konkret bestreitet, muss der Arbeitgeber in diesem Punkt gegebenenfalls die Vorkenntnisse des Betriebsrats weiter substanziieren bzw. beweisen.

 

4. Gesetzliche Abfindungsregelung

Um es vorwegzunehmen: Der Arbeitgeber ist auch ab dem 1.1.2004 nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer nach dessen Wahl eine Abfindung zu zahlen, wenn er das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt gekündigt hat. Die entsprechenden Überlegungen des Bundeskanzlers sind schon im Vorfeld aufgegeben worden. 

Kündigt der Arbeitgeber betriebsbedingt und erhebt der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Drei-'Wochen-Frist des § 4 S.1 KSchG n.F. keine Kündigungsschutzklage hat der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung (Abs. 1 S.1). Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in der Kündigungserklärung darauf hinweist, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann (Abs.1 S.2). Die Höhe der Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses (Abs. 2 S.1).

 

a. Voraussetzungen

Der Abfindungsanspruch nach § 1a KSchG kann nur bei einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung entstehen. Kündigt der Arbeitgeber personen- oder verhaltensbedingt, bleibt den Parteien weiterhin die Möglichkeit, eine (außer-) gerichtliche Abfindungslösung herbeizuführen. Wenn der Arbeitgeber bereit ist, die gesetzliche Abfindung zu zahlen, hat er einen Hinweis zu erteilen, bei dem es sich rechtsdogmatisch nach einer Auffassung um ein Angebot für den Abschluss eines Abwicklungsvertrags, nach anderer Auffassung um eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung handelt, für die die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend gelten.

Folgende formelle Anforderungen sind nach § 1a Abs. 1 S.2 KSchG n.F. zu erfüllen: In der schriftlichen Kündigungserklärung (§§ 623 Hs. 2, 126 BGB) muss der Arbeitgeber als Kündigungsgrund dringende betriebliche Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 S.1 KSchG angeben. Es reicht aber aus, wenn er die Kündigung als betriebsbedingt bezeichnet. Eine nähere Begründung ist nicht erforderlich. Erklärt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer aber nur mündlich, dass die Kündigung betriebsbedingt sei, greift § 1a KSchG nicht ein. Darüber hinaus muss er den Arbeitnehmer darauf hinweisen, dass dieser die gesetzliche Abfindung (§ 1a Abs. 2 KSchG n.F.) nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses beanspruchen kann, wenn er die dreiwöchige Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage nach § 4 S.1 KSchG n.F. verstreichen lässt.

 

Formulierungsvorschlag:

„Hinweis nach § 1a KSchG: Die Kündigung ist auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt. Lassen Sie die Klagefrist des § 4 KSchG verstreichen, können Sie mit Ablauf der Kündigungsfrist eine Abfindung gern. § 1a Abs. 2 KSchG beanspruchen. § 1a Abs.2 KSchG lautet: ,Die Höhe der Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. § 10 Abs. 3 gilt entsprechend. Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden.

Hält der Arbeitgeber diese Formalien nicht ein, ist der Hinweis jedenfalls in ein Angebot auf Abschluss eines Abwicklungsvertrags" umzudeuten (§ 140 BGB), dass nach allgemeinen Regeln angenommen oder abgelehnt werden kann. Will der Arbeitgeber eine niedrigere Abfindung für den Fall des Klageverzichts anbieten, sollte er in sein Angebot sicherheitshalber den Zusatz aufnehmen: 

 

„Dies ist kein Angebot nach § 1 a KSchG."

Der Arbeitnehmer muss - wenn er die Abfindungslösung wählt - daraufhin keine Erklärung abgeben, sondern nur die Klagefrist des § 4 KSchG n. F. verstreichen lassen. Erhebt er Kündigungsschutzklage, kann er die gesetzliche Abfindung nicht beanspruchen, sich aber weiterhin mit dem Arbeitgeber auf eine Abfindungslösung verständigen. Erfolgt die Kündigung im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung und sieht der Sozialplan eine Abfindungsregelung vor, die die des § 1a Abs. 2 KSchG n.F. übersteigt, sollte der Arbeitgeber, wenn er einen Hinweis erteilt, folgende ergänzende Formulierung aufnehmen:
„Die Abfindung, die Sie nach dem Sozialplan vom ... beanspruchen können, wird auf diese Abfindung angerechnet."

 

b. Zeitpunkt des Entstehens

Der Anspruch auf die Abfindung entsteht mit dem Ablauf der Kündigungsfrist, also im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wird das Arbeitsverhältnis zu einem früheren Zeitpunkt beendet, insbesondere durch eine außerordentliche und fristlose Kündigung, entsteht der Abfindungsanspruch nicht. Stirbt der Arbeitnehmer nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist, aber vor dem Kündigungstermin, ohne Kündigungsschutzklage erhoben zu haben, können seine Erben die Abfindung nicht beanspruchen. Kündigt der Insolvenzverwalter mit der kurzen Kündigungsfrist des § 113 InsO innerhalb der Kündigungsfrist erneut und endet das Arbeitsverhältnis aus diesem Grund vorher, entsteht der Anspruch ebenfalls nicht.

Nimmt der Arbeitnehmer seine Kündigungsschutzklage zurück (§ 269 ZPO; § 54 Abs. 2 S.1 ArbGG), gilt der Rechtsstreit als nicht anhängig (§ 269 Abs. 3 S.1 ZPO). Damit wäre streng genommen der Tatbestand des § 1a Abs. 1 KSchG n.F. erfüllt. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Abfindungsregelung, einen Kündigungsschutzprozess zu vermeiden, ist § 1a KSchG n.F. in diesem Fall aber einschränkend auszulegen. Der Abfindungsanspruch entsteht nicht nachträglich.

 

c. Entfallen des Abfindungsanspruchs

Befindet sich der Arbeitnehmer bei Zugang einer betriebsbedingten Kündigung mit einem Hinweis gem. § 1a KSchG n.F. im Urlaub und kehrt erst drei Wochen später zurück, ist der Anspruch auf die Abfindung nach dem Gesetzeswortlaut entstanden. Beantragt er unter Berufung auf seine urlaubsbedingte Abwesenheit mit Erfolg die nachträgliche Zulassung seiner Kündigungsschutzklage (§ 5 KSchG), entfällt die Fiktion des § 7 KSchG rückwirkend. Mit der Abfindungsregelung wird aber gerade bezweckt, dass die Fiktion des § 7 KSchG dauerhaft eintritt. § 1a KSchG n.F. ist daher analog anzuwenden; der Abfindungsanspruch entfällt rückwirkend mit der erfolgreichen Antragstellung nach § 5 KSchG.

Gleiches gilt für folgenden Fall: Erhebt der Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung innerhalb von drei Wochen Leistungsklage auf Entgeltzahlung, hat er nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG zu § 6 KSchG [19991 die Möglichkeit, sich noch in der ersten Instanz auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung zu berufen. Nach dem Wortlaut des § 1a KSchG n.F. könnte er die Abfindung beanspruchen, weil er binnen der Drei-Wochen-Frist keine Kündigungsschutzklage erhoben hat. Auch das lässt sich mit dem Sinn und Zweck des § 1a KSchG n.F. nicht vereinbaren: Der Anspruch entfällt rückwirkend mit der Geltendmachung, die Kündigung sei unwirksam. Hat der Arbeitgeber die Abfindung ausgezahlt und entfällt der Anspruch rückwirkend, ist nach Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) rückabzuwickeln. Der Arbeitnehmer kann sich auf die Einrede der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen.

 

d. Höhe des Abfindungsanspruchs

Die Höhe der Abfindung ist gesetzlich auf einen halben Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses festgelegt (Abs. 2 S.1). Diese Formel entspreche - so die Begründung des Gesetzesentwurfs - dem durchschnittlichen Abfindungsbetrag, den die Arbeitsgerichte bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach den §§ 9, 10 zugrunde legten und an dem sich auch gerichtliche und außergerichtliche Abfindungsvergleiche orientierten. Als Monatsverdienst gilt, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arb­eitszeit in dem Monat an Geld und Sachbezügen zusteht, in dem das Arbeitsverhältnis endet. § 10 Abs. 3 KSchG gilt entsprechend (Abs.2 S.2), sodass auf die diesbezügliche Rechtsprechung und Literatur verwiesen werden kann. Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden (Abs.2 S.3). Dadurch soll sichergestellt werden, dass auch diejenigen Arbeitnehmer eine Abfindung beanspruchen können, die nach Ablauf der für den Kündigungsschutz maßgebenden sechsmonatigen Wartezeit, aber vor Ablauf des ersten Beschäftigungsjahres ausscheiden. 

 

e. Durchsetzung des Abfindungsanspruchs / Insolvenz

Zahlt der Arbeitgeber die Abfindung nicht, muss der Arbeitnehmer diese einklagen. Der gerichtliche Vergleich (§ 85 ArbGG, § 794 Abs. l Nr. 1 ZPO) oder der Anwaltsvergleich (§ 796a ZPO) sind hingegen ihrerseits Vollstreckungstitel und insoweit dem gesetzlichen Abfindungsanspruch aus Arbeitnehmersicht überlegen. Im Falle der späteren Insolvenz des Arbeitgebers ist der Anspruch auf die Abfindung in der Regel nur eine einfache Insolvenzforderung (§§ 38, 108 Abs. 2 InsO). Nur wenn der Abfindungsanspruch, z. B. aufgrund langer Kündigungsfrist erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht, ist er eine Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs.1 Nr.2 Alt. 2 InsO). Droht dem Arbeitgeber eine Insolvenz, ist der Arbeitnehmer also gut beraten, Kündigungsschutzklage zu erheben. Resultiert der Abfindungsanspruch nämlich aus einem mit dem Insolvenzverwalter geschlossenen Vergleich, ist er eine Masseverbindlichkeit (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO).

 

f. Sozialversicherungs- und steuerrechtliche Implikationen

Welche sozialversicherungsrechtlichen Folgen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des Klageverzichts nach § 1a KSchG n.F. hat, regelt das ArbMRefG leider nicht. Nach einer neueren Entscheidung des BSG tritt eine Sperrzeit nicht schon deshalb ein, weil der Arbeitnehmer eine offensichtlich rechtswidrige Kündigung im Hinblick auf eine zugesagte finanzielle Vergünstigung hinnimmt. Die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe knüpfe an ein aktives Verhalten des Versicherten, nicht an die bloße Hinnahme einer rechtswidrigen Kündigung an. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass die Arbeitsämter aufgrund eines solchen Klageverzichts eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe verhängen (§ 144 Abs. 1 S.1 Nr. 1 SGB III), die zudem zu einer Minderung der Anspruchsdauer führt (§ 128 Abs.1 Nr.4 SGB III). Auch der Arbeitgeber geht ggf. das Risiko ein, nach § 147a SGB III das Arbeitslosengeld zu erstatten. Der Ausnahmetatbestand des Abs. 1 S.2 Nr. 3 greift nämlich nicht und der des Abs. 1 S.2 Nr. 4 nur dann, wenn die Kündigung wirklich betriebsbedingt war. Die Abfindung nach § 1a Abs. 2 KSchG unterliegt steuerrechtlich den §§ 3 Nr. 9, 34, 24 Nr. l lit. b EStG.

 

g. Bewertung

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der gesetzliche Abfindungsanspruch eine einfach zu handhabende, moderne und unbürokratische Alternative zum Kündigungsschutzprozess sein. Das ist reine Augenwischerei. Was bislang auch ohne den Gesetzgeber funktionierte, wird nun in einen „gesetzlichen" Abfindungsanspruch umgemünzt, der befürchten lässt, dass in Zukunft unter der magischen Grenze des § 1a Abs. 2 KSchG n.F. kein Vergleich mehr zustande kommt. Rechtsschutzversicherte Arbeitnehmer werden den Hinweis des Arbeitgebers möglicherweise zum Anlass nehmen, die Kündigung erst recht anzugreifen. Ob - wie beabsichtigt - die Arbeitsgerichte entlastet werden, ist daher zu bezweifeln. Nur 8 % der Arbeitnehmer, die eine betriebsbedingte Kündigung erhalten haben, greifen diese überhaupt vor dem Arbeitsgericht an. Arbeitgeber sollten also sehr sorgfältig überlegen, ob sie einem Arbeitnehmer die einvernehmliche Beendigung über § 1a KSchG n.F. anbieten wollen. 

 

III. Kündigungsschutzklage

Bislang musste ein Arbeitnehmer, der sich gegen eine Kündigung des Arbeitgebers wehren wollte, nur dann binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung das Arbeitsgericht anrufen, wenn er die Kündigung oder die Änderung der Arbeitsbedingungen für sozial ungerechtfertigt hielt (§ 4 S.1 und 2 KSchG ) oder die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung nach § 13 Abs. 1 S.2 KSchG geltend machte. Versäumte der Arbeitnehmer die Klagefrist des § 4 S.1 KSchG , so galt die Kündigung als von Anfang an wirksam, wenn sie nicht aus anderen Gründen unwirksam war (§ 7 KSchG ). Solche anderen Gründe (z. B. der Verstoß gegen § 102 BetrVG; § 613a Abs.4 BGB, §§ 623, 138, 242 BGB; § 134 BGB i. V. m. § 9 MuSchG, § 18 BErzGG, 5 85 SGB IX) konnten in den Grenzen der Verwirkung geltend gemacht werden. Nur für die Kündigung des Insolvenzverwalters galt nach § 113 Abs. 2 S.1 InsO a.F. eine einheitliche dreiwöchige Klagefrist - unabhängig, auf welche Unwirksamkeitsgründe der Arbeitnehmer sich stützte.

 

1. Klagefrist

§ 4 KSchG n.F. übernimmt den Gedanken des § 113 Abs. 2 S.1 InsO a.F.. Um schnell zu klären, ob eine Kündigung das Arbeitsverhältnis beendet hat oder nicht, gilt nunmehr für die Geltendmachung aller Unwirksamkeitsgründe eine einheitliche Klagefrist von drei Wochen. Die Frist beginnt erst mit Zugang der schriftlichen Kündigung (Abs. 1 S.1). Nach einer mündlichen Kündigung oder einer Kündigung in Textform (§ 126b BGB), die nach § 623 BGB unwirksam sind, beginnt die Klagefrist also nicht zu laufen. Die einheitliche Klagefrist ist sowohl bei Beendigungs- als auch bei Änderungskündigungen (§ 4 S.2 KSchG n.F.) zu beachten. Für die außerordentliche Kündigung gelten §§ 4 S.1 und 5 bis 7 KSchG n.F. entsprechend (§ 13 Abs. 1 S. 2 KSchG n.F.). Wird die Klagefrist nicht eingehalten, gilt die Kündigung als von Anfang an wirksam (§ 7 KSchG n.F.). Die Regelung des § 113 Abs. 2 InsO a.F. ist damit überflüssig; sie gilt ab 1.1.2004 nicht mehr. Kündigt der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer vor der Zustimmung des Integrationsamtes (§§ 85 ff. SGB IX), läuft die Klagefrist erst mit der Bekanntgabe der Zustimmung gegenüber dem Arbeitnehmer (§ 4 Abs. 4 KSchG). Kündigt der Arbeitgeber indes ohne Zustimmung des Integrationsamtes, ist die Kündigung nach § 83 SGB IX unwirksam; der Arbeitnehmer muss binnen drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben. 

Die bisherige Rechtsprechung, wonach eine dem Arbeitgeber unbekannte Schwerbehinderung ihm binnen eines Monats nach Zugang der ordentlichen Kündigung angezeigt werden muss, wenn der Sonderkündigungsschutz geltend gemacht werden soll, ist damit überholt. Das dürfte auch für die Rechtsprechung gelten, die § 4 Abs. 4 KSchG auf den Fall anwendet, dass der Arbeitgeber die Zustimmung gar nicht beantragt hat. Es bleibt wieder einmal der Rechtsprechung überlassen, Redaktionsmängel des Gesetzgebers auszugleichen. Für die Praxis gilt vorerst nur „safety- first: Auch wenn der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Integrationsamtes kündigt, sollte der Arbeitnehmer sicherheitshalber binnen dreier Wochen Klage erheben.

 

2. Nachträgliche Klagezulassung

Bei der nachträglichen Klagezulassung bleibt fast alles beim Alten. § 5 Abs. 1 KSchG n.F. wird redaktionell an § 4 KSchG n.F. angepasst und nimmt nunmehr auf die schriftliche Kündigung Bezug. § 5 Abs. 1 S. 2 KSchG n.F. regelt einen besonderen Fall: Erfährt eine gekündigte Arbeitnehmerin aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 S.1 KSchG n.F., dass sie bei Zugang der Kündigung schwanger war, ist die Klage zuzulassen, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 5 KSchG n.F. vorliegen. Diese Ergänzung macht aber nur dann Sinn, wenn man § 4 S.4 KSchG entgegen der jüngsten Rechtsprechung des BAG eng auslegt: Nach § 4 Abs.4 KSchG beginnt die Klagefrist nämlich bei Kündigungen, deren Wirksamkeit von der Zustimmung einer Behörde abhängen, erst dann zu laufen, wenn die Entscheidung der Behörde dem Arbeitnehmer bekannt gegeben worden ist. § 9 MuSchG verlangt aber - ebenso wie § 18 Abs. 1 BErzGG für die Kündigung während der Elternzeit - keine Zustimmung, sondern eine Zulässigkeitserklärung der Behörde. Offen ist noch, ob der Arbeitnehmer, der erst nach Ablauf der Drei-Wochen-Frist erfährt, dass die Kündigung wegen eines Betriebsübergangs (§ 613a Abs.4 BGB) oder ohne ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung (§ 102 Abs.1 S.3 BetrVG) erfolgte, noch eine nachträgliche Klagezulassung verlangen kann. Der Arbeitnehmer ist also gut beraten, in jeglichen Zweifelsfällen rechtzeitig Klage zu erheben, um weitere Unwirksamkeitsgründe gem. § 6 KSchG n. F. geltend zu machen.

 

3. Verlängerte Anrufungsfrist

Ist die Kündigungsschutzklage rechtzeitig gemäß § 4 KSchG n.F. erhoben bzw. nachträglich zugelassen, kann sich der Kläger im Kündigungsschutzverfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auch auf solche Unwirksamkeitsgründe berufen, die er innerhalb der Klagefrist nicht geltend gemacht hat, (§ 6 S.1 KSchG n.F.). Auf diese Möglichkeit hat ihn das Arbeitsgericht hinzuweisen (§ 6 S.2 KSchG n.F.). Praktisch bedeutsam wird dies insbesondere in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer im Laufe des Verfahrens noch Hinweise auf eine fehlerhafte Betriebsratsanhörung oder einen Betriebsübergang erhält. Im Berufungsverfahren kann der Arbeitnehmer sich darauf nicht mehr stützen. Zu beachten ist aber auch weiterhin die Rechtsprechung des BAG, wonach eine innerhalb der Drei-Wochen-Frist erhobene Klage auf Vergütung für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist den Anforderungen des § 6 KSchG genügt, wenn der Arbeitnehmer zugleich zum Ausdruck bringt, dass er die Unwirksamkeit der Kündigung geltend mache.

 

4. Besonderheiten

a. Kleinbetrieb

Bislang konnten Arbeitnehmer eines Kleinbetriebs (§ 23 Abs.1 S.2 und 3 KSchG ) die Unwirksamkeit einer Kündigung (z.B. wegen Verstoßes gegen §§ 138, 242 BGB) in den Grenzen der Verwirkung geltend machen. Nunmehr gelten die §§ 4 bis 7 und § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KSchG n.F. auch im Kleinbetrieb (§ 23 Abs. l S. 2 KSchG n.F.).

 

b. Kündigung in der Wartezeit

Offen ist, ob die Klagefrist wirklich „einheitlich" ist. Nach der Rechtsprechung des BAG musste der Arbeitnehmer, der die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht erfüllt hatte, bei einer außerordentlichen Kündigung die dreiwöchige Klagefrist nicht einhalten. Das ArbMRefG trifft diesbezüglich keine ausdrückliche Regelung. Der klare Wille des Gesetzgebers ist es indes, die Klagefrist für alle Kündigungen - bis auf die mündliche (§ 4 S.1 KSchG n.F.) - zu vereinheitlichen. Auch während der Wartezeit sollte daher die Drei-Wochen-Frist gewahrt werden.

 

c. Sittenwidrige Kündigung

Die sittenwidrige Kündigung ist „aus anderen Gründen rechtsunwirksam. Sie muss daher nun binnen der Drei-Wochen-Frist des § 4 S.1 KSchG n.F. angegriffen werden. Bislang war das in den Grenzen der Verwirkung möglich. Im Übrigen bleibt es dabei, dass bei einer sittenwidrigen Kündigung nur der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess einen Auflösungsantrag stellen, darf (§§ 13 Abs. 2, 9 Abs. 1 S.1 und Abs. 2, 10 bis 12 KSchG n.F.).

 

5. Auflösungsantrag des Arbeitgebers

Die Rechtslage zum Auflösungsantrag des Arbeitgebers wird durch das ArbMRefG nicht geändert. Ursprünglich sollte § 13 Abs.3 KSchG ganz entfallen. Das hätte bedeutet, dass ein Auflösungsantrag des Arbeitgebers auch bei einer nicht ausschließlich sozialwidrigen Kündigung in Betracht gekommen wäre. Nach der Rechtsprechung des BAG darf der Arbeitgeber den Auflösungsantrag nämlich nur dann stellen, wenn die Kündigung ausschließlich sozialwidrig ist. Zur Begründung wird auch § 13 Abs.3 KSchG herangezogen, wonach die Bestimmungen des ersten Abschnitts des KSchG auf eine Kündigung, die bereits aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit unwirksam sei, nicht anwendbar seien. Schlussendlich tastet das ArbMRefG diese Rechtsprechung aber nicht an. § 13 Abs. 3 KSchG n.F. beschränkt die Anwendung des 1. Abschnitts auf die §§ 4 bis 7 KSchG n.F. Es bleibt also insoweit alles beim Alten.

 

6. Auflösungsantrag des Arbeitnehmers

Weiterhin bleibt es dabei, dass im Falle einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers nur der Arbeitnehmer einen Auflösungsantrag stellen kann, wenn ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. § 13 Abs. 3 S.4 KSchG n.F. regelt jetzt aber ausdrücklich, dass das Gericht für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzulegen hat, zu dem der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat. Das ist bei fristloser Kündigung der Zugang der Kündigungserklärung, bei einer außerordentlichen befristeten Kündigung der vom Arbeitgeber genannte Zeitpunkt und bei einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Zeitpunkt, zu dem das Arbeitsverhältnis bei ordentlicher Kündigung geendet hätte.

 

IV. Übergangsvorschriften

Übergangsvorschriften enthält das ArbMRefG nicht. Für die Rechtswirksamkeit einer Kündigung kommt es auf die Rechtslage im Zeitpunkt ihres Zugangs an. Erfolgte dieser bis einschließlich 31.12.2003, findet das Kündigungsschutzgesetz in der bis dahin geltenden Fassung Anwendung. Geht die Kündigung am 1.1.2004 oder später zu, gilt das Kündigungsschutzgesetz in der Fassung des Arbeitsmarktreformgesetzes. Für § 23 KSchG n.F. gelten Besonderheiten, die oben ausführlich dargestellt sind.

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